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Bild: von phydc über Pixabay

Um 500 ging das Römische Reich unter – doch Latein als Schulfach lebt seitdem schon seit mehr als 1500 Jahren weiter. Wie kommt das?

Während das Latein des normalen Bürgers auf der Straße sich langsam zu z.B. Französisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch und Rumänisch entwickelte, wurde Latein zur Sprache derer, die über die Grenzen hinweg kommunizieren wollten oder mussten, also zur Sprache der Denker, der Kirche, der Wissenschaft, der Diplomatie.

Und so hat Latein in ganz Europa seine Spuren hinterlassen, wie z.B. das Alphabet und viele Fremdwörter, aber auch Wörter, denen man ihren lateinischen Ursprung kaum anmerkt (z.B. Fenster, Tafel, Straße, Lawine).

Das Latein der heutigen Zeit ist Englisch und vieles von dem, was in Latein geschrieben wurde, ist überholt. Warum also noch Latein? Vielleicht, weil es Wissen gibt, was doch noch verbindlich ist, gerade auch im europäischen Sinne verbindend? Vielleicht, weil es nicht nur auf Wissen ankommt, sondern auch auf Können und es Kompetenzen gibt, die besonders der Lateinunterricht vermitteln kann?

Im Gegensatz zum Unterricht der modernen Sprachen liegt im Lateinunterricht der Schwerpunkt nicht auf dem Sprechen IN der Sprache, sondern ÜBER die Sprache, und zwar auf Deutsch. Die lateinische Grammatik ist so systematisch, dass man sie mit der Mathematik verglichen hat und sie zum Vorbild für viele Sprachen wurde – darunter auch die Deutsche. Günther Jauch antwortete auf die Frage, warum seine Töchter Latein gelernt haben: „Zumindest scheint mir, dass sie das Gefühl für die deutsche Sprache dadurch bekommen haben, dass sie sich an der lateinischen abarbeiten mussten. Dabei entwickelte sich ein Sinn für Grammatik, für bestimmte Strukturen von Sprache, von dem auch der Deutschunterricht profitiert.“ (Der Spiegel, Nr. 14 (2006) S. 146.)

Doch nicht nur in Sachen Grammatik kann man von Latein profitieren. Die Übersetzung aus dem Lateinischen erfordert immer wieder, dass man um den richtigen, den gelungenen Ausdruck ringt, was die Variationsfähigkeit und den Ausdrucksreichtum schult, wie das Übersetzen überhaupt zur Konzentration, Genauigkeit und Kombination anhält.

Hier ein einfaches Beispiel:

                   Ora et labora!              Bete und arbeite!

                   Orat et laborat.            Er betet und arbeitet.

                   Orant et laborant.        Sie beten und arbeiten.

Bei der Übersetzung muss man genau beobachten, jeden Buchstaben beachten, verschiedene Phänomene unterscheiden und anschließend zu einer gelungenen deutschen Übersetzung verarbeiten.

Doch Latein hat als internationale Sprache auch seine Spuren hinterlassen und kann eine Brücke zu den modernen Sprachen sein. Während im Deutschen ca. 11 000 Worte ihren Ursprung im Lateinischen haben, sind im Englischen über 50 % des Wortschatzes lateinischer Herkunft (z.B. liberty – libertas, to delete – delere, to remove – removere).

 

 

Am auffälligsten sind jedoch die Ähnlichkeiten in den romanischen Sprachen:

Latein

Italienisch

Französisch

Spanisch

Portugiesisch

Rumänisch

Deutsch

mater

nox

rex

hora

arbor

dormire

videre

madre

notte

re

ora

albero

dormire

vedere

mère

nuit

roi

heure

arbre

dormir

voir

madre

noche

rey

hora

árbol

dormir

ver

mae

noite

rei

hora

árvore

dormir

ver

mama

noapte

rege

ora

arbore

dormi

vedea

Mutter

Nacht

König

Stunde

Baum

schlafen

sehen

 

Ein solides Fundament in Latein bietet also gute Voraussetzungen zum Erlernen weiterer Fremdsprachen, insbesondere der Weltsprachen Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Französisch.

Doch es gibt auch Wissen, das seit der Antike seine Aktualität nicht verloren hat. So gilt Cicero auch heute noch als Musterbeispiel für die Rhetorik, also die Kunst, Menschen und Menschenmassen sprachlich geschickt zu beeinflussen. Aktiv erlernen die Schüler in der Auseinandersetzung mit ihm den gezielten Einsatz sprachlicher Mittel, um andere (z.B. bei einer Präsentation oder einem Referat) von ihrer Meinung zu überzeugen. Noch viel wichtiger ist es jedoch, passiv zu erkennen, wo Werbung, Journalisten und Politiker auf uns Einfluss nehmen wollen.

Politisch und gesellschaftlich ist die Antike ein 'Spielplatz', auf dem viele Ideen ausprobiert wurden. So können die Schüler die athenische Demokratie und Ciceros Gedanken über die ideale Staatsform ebenso kennenlernen, wie von Macht getriebene Menschen wie Alexander den Großen oder Cäsar, die zerstörerisch und gleichzeitig schöpferisch den Lauf der Geschichte beeinflussten. Bei Cäsar und Augustin tauchen Gedanken über „gerechte Kriege“ auf, die selbst heute noch in Reden amerikanischer Präsidenten wiederkehren und zur kritischen Auseinandersetzung aufrufen.

Manche Fragen sind menschlich allzumenschlich, so dass in der Begegnung mit der Liebesdichtung Catulls und Ovids oder den philosophischen Schriften Senecas eigene Fragen der heranwachsenden Jugendlichen diskutiert werden können. Nicht zuletzt lernen sie in Ovids Metamorphosen zentrale Gestalten des Mythos wie Ikarus, Orpheus und Eurydike, Pygmalion, Narzissus oder auch Europa kennen, die nicht nur in der modernen Psychoanalyse (z.B. Narzissmus), sondern vielfältig in Literatur und Kunst fortleben.

Zu guter Letzt mag man sich auch daran erfreuen, dass viele geflügelte Worte und Sprachbilder (Metaphern) aus dem Lateinischen kommen, was dem fleißigen Asterix-Leser nicht entgangen sein dürfte. Neben bekannteren Sprüchen wie „Veni, vidi, vici.“ (ich kam, sah und siegte) oder „Die Würfel sind gefallen.“ kommen auch der „Phönix aus der Asche“ oder das „Trojanische Pferd“ aus der Antike, wobei letzteres als Computervirus (Trojaner) ein unrühmliches Fortleben erhalten hat.

(Der Artikel ist in vielerlei Hinsicht Friedrich Maier, Warum Latein? Zehn gute Gründe, Reclam, Stuttgart 2008, verpflichtet. Einzelne Seitenzahlen aufzuführen, wäre zu ausführlich geworden.)