„Es gäbe noch viel zu sagen – schweigen wir lieber.“

Diesen Satz schrieb Oberst Georg Alexander Hansen (1904 - 1944) in das Gästebuch seiner Schwester drei Wochen vor dem 20. Juli 1944. Er selbst schwieg innerhalb seiner Familie über seine Rolle im Widerstand. Seine Söhne sprachen über ihn und sein Wirken und ermöglichten den Schülerinnen und Schülern des 12. Jahrgangs des St.-Viti-Gymnasiums am vergangenen Donnerstag einen wahrlich lebendigen Geschichtsunterricht.

 „Kam der 20. Juli 1944 zu früh oder zu spät?“ Diese Frage warfen Hans Georg und Dr. Karsten Hansen gleich zu Beginn ihres Gesprächs mit den Schülerinnen und Schülern des 12. Jahrgangs des St.-Viti-Gymnasiums auf. Ihr Vater, Oberst Georg Alexander Hansen (1904 – 1944) – Chef der militärischen Abwehr – gehörte zum engsten Kreis derer, die Adolf Hitler töten wollten und dafür am 8. September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde.

Eingangs machte das Gespräch deutlich, dass ihr Vater entsprechend den Werten der Kaiserzeit deutsch-national erzogen wurde, Abitur machte und zunächst Jura studierte. Dieses Studium musste er aufgrund der Inflation und dem damit verbundenen Geldwertverlust 1924 abbrechen. Er ging schließlich zur Reichswehr und machte dort seine Ausbildung, begann seine Karriere in der Zeit der Präsidialkabinette unter Reichspräsident Hindenburg. Und sicherlich machten die anfänglichen Erfolge der Nationalsozialisten in der Außen- und Wirtschaftspolitik Eindruck auf den damaligen Oberleutnant. Für viele der zuhörenden Schüler war das Leben Hansens bis zu diesem Zeitpunkt geprägt durch Fakten aus dem Geschichtsbuch.

Schnell kam von Seiten der Schüler die Frage auf, warum er sich vom System abwendete, seine Gesinnung änderte. Die Söhne machten deutlich, dass es für Hansens Zuwendung zum Widerstand kein Schlüsselereignis gab. Es war ein langsamer Prozess, der vermutlich mit seiner Versetzung in die Abteilung Fremde Heere Ost begann und zunächst gekennzeichnet war von dem Unverständnis bestimmter Maßnahmen, wie dem Ausschluss aller Juden aus dem Militär, und bestärkt wurde durch den Austausch mit ranghohen Militärs wie Ludwig Beck und Claus von Staufenberg über Ziele und Verbrechen des Nazi-Regimes.

Aber warum dann so spät? Zwei Aspekte wurden aus den Darstellungen von Dr. Karsten Hansen deutlich. Zum einen beschrieb er für die Zuhörenden die Bedeutung des Eids, den alle Mitglieder der Reichswehr auf Hitler leisten mussten. Dieser war für jeden Einzelnen von großer Bedeutung. Widerstand bedeutete ein Versprechen brechen und einen Staatsstreich begehen. Erst als Hitler selbst seine Versprechen brach, fühlten sich einige im Militär nicht mehr an diesen Eid gebunden.

Zum anderen konnte man lange nicht abschätzen, welche Konsequenzen – auch in der Bevölkerung – ein Staatsstreich gehabt hätte. Im Zusammenhang mit einigen Nachfragen aus dem Publikum wurde deutlich, dass der 20. Juli 1944 auch ein Zeichen setzen sollte, egal wie der Tag ausgehen würde.

Und noch eine Erkenntnis ergab sich für viele. Es war nicht einfach sich gegen einen totalitären Staat zu erheben. Georg Alexander Hansen wurde trotz oder wegen seiner Stellung wie viele andere vom Staat überwacht, sein Telefon abgehört. So lebte er ein Doppelleben. Einerseits ging er seiner Arbeit nach, in seiner Familie gab es keine Systemkritik, die Kinder durchliefen die nationalsozialistische Erziehung. Andererseits wirkte er aber ab 1943 an allen Planungen für das Hitlerattentat mit und nahm 1944 an den meisten wichtigen Besprechungen zur Vorbereitung teil. „Hansen hat seine Rolle gut gespielt. Das hat ihn viele Nerven gekostet“ kommentierten seine Söhne diese Doppelrolle, die letztlich sie als Kinder schützen sollte. Nach dem Tod ihres Vaters kam die Familie in Sippenhaft – die Ehefrau wurde verhaftet, die fünf Kinder kamen nach Bad Sachsa ins Kinderheim.

Es wurde noch viel gesprochen über die Frage der familiären Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit der Rolle des Vaters auch nach seinem Tod, über die Hilfe aber auch die Ablehnung der Familie in der Nachkriegsgesellschaft und die Frage der heutigen Würdigung.

 

Hier einige Meinungen von den Teilnehmern der Gesprächsrunde:

Geschichte hautnah: „Wir waren zutiefst berührt“ – diese Reaktion war bei vielen der Schüler zu beobachten, die den Erzählungen der Brüder Hansen lauschten. Vor allem als Hans-Georg Hansen darüber berichtet, wie er seinen Vater das letzte Mal sah. Der gesamte Vortrag war von den Emotionen der beiden Söhne des Widerständlers geprägt. Während der jüngere der beiden Brüder stark auf den geschichtlichen Hintergrund und sachlich auf das Attentat des 20. Juli 1944 einging, beschrieb der 81-jährige Hans-Georg Hansen hauptsächlich seine eigenen Erinnerungen und Erfahrungen. Dies fiel ihm merklich schwer in Worte zu fassen, sodass seine Betroffenheit zum Mitgefühl anregte. Jedem Einzelnen wurde klar, dass dies ein ernstes Thema ist und folgte gespannt den Erzählungen. Selbst als das Gespräch zum Schluss kommen musste, war man immer noch im Bann der Besucher und neugierig auf weitere Erlebnisse und Informationen. Besonders groß war die Anteilnahme im Publikum als Hans-Georg Hansen erzählt, dass er seinen Vater das letzte Mal gesehen hat, als dieser allein im dunklen Zimmer saß und im Radio die Nachricht hörte, dass das Attentat gescheitert und Hitler noch am Leben war. Gesteigert wurde diese traurige Tatsache dadurch, dass dem damals 12-jährigen Jungen nicht bewusst war, dass dies die letzte Begegnung mit seinem Vater war, weil die Familie nicht wusste, dass der Vater überhaupt im Widerstand aktiv war. In jeder Hinsicht war dieser Besuch für alle Schüler eine Bereicherung!

Militärischer Widerstand im Gegensatz zum zivilen Gehorsam: Zum einen war er Oberst im Generalstab, zum anderen einer der tapferen Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Der militärische Widerstand begann schon 1937/38 mit ersten Überlegungen sich gegen den totalitären Staat zur Wehr zu setzen. Doch die Familie wusste kaum etwas von den Plänen des Vaters, er hat sie sowohl vor der Gesellschaft, als auch vor seinem privaten Umgang geheim gehalten. Dies tat er nicht, weil er seiner Familie nicht vertraute, sondern um sie vor dem totalitären Staat und möglichen Ängsten zu schützen. Ein prägendes Erlebnis, an das sich der älteste Sohn zurückerinnert, ist sein Stolz, als er seine Jungvolk-Uniform bekam und sein Vater Fotos von ihm schoss.

Georg Hansen war ein mutiger Mann. Anstatt zu fliehen, um seiner Strafe zu entkommen ist er in Berlin geblieben und hat sich seinem Schicksal gestellt. Vielleicht war der Widerstand zu der Zeit kein von der Bevölkerung akzeptiertes Ereignis, jedoch stellte selbst der Versuch eines Umsturzes ein Zeichen für die Zukunft dar.

Vaterfigur „Hansen“: Am Anfang des Gesprächs mit den zwei Brüdern Hansen, fiel es auf, das es ihnen schwer fiel, für den Widerstandskämpfer Georg Alexander Hansen das Wort Vater zu benutzen. Aus diesem Grund haben sie sich dafür entschieden ihn „Hansen“ zu nennen. Durch diese Bezeichnung haben sie eine gewisse Distanz zu Georg Alexander Hansen aufgebaut, um das Gespräch auf sachlicher Basis führen zu können.  Zunächst hat dies sehr befremdlich auf uns gewirkt, da so der Eindruck entstanden ist, dass sie sich mit den Taten des eigenen Vaters nicht identifizieren konnten. Dieser erste Eindruck hat sich aber schnell widerlegt. Denn man erkannte, dass diese Wortwahl notwendig war, um die emotionale Fassung zu wahren. Auch nach dem Gespräch hat uns diese Verhaltensweise beeindruckt und uns zum Nachdenken angeregt.

„Mein Platz ist in Berlin.“ Nach dem Bekanntwerden des gescheiterten Widerstands hat sich Herr Hansen nicht dazu entschieden, sich ins Ausland abzusetzen, sondern nach Berlin zurückzukehren, um dort so viele Beteiligte wie möglich zu schützen. Denn auf Hansen selbst lag zunächst kein großer Verdacht der Mittäterschaft. Er schien ein systemtreuer Offizier der Abwehr zu sein und sich nicht gegen das Regime aufzulehnen. Zu dieser Entscheidung gehörte viel Mut, denn, wie man sich vorstellen kann, war Berlin der für ihn gefährlichste Aufenthaltsort.

Für uns zeigt diese Entscheidung, dass Hansen ein sehr ehrenhafter Mensch gewesen sein muss, der in keinem Falle egoistisch gehandelt hätte. Offen bleiben jedoch die vielen Fragen, auf die auch die beiden Brüder keine Antworten hatten, wie und ob er seine Familie mit einem anderen Verhalten hätte besser schützen können.

 

Text: Stephan Hall

 

Siehe auch Zevener Zeitung vom 11.03.2014