Hallo, ich bin Jannika (Für die Chilenen aber auch gerne Yannika, Yanika, Yannica, Hannyka oder Janikka), Schülerin des St.-Viti-Gymnasiums und befinde mich derzeit am Rand einer ,Kleinstadt’ in Chile mit 165.000 Einwohnern.
Ich mache ein Auslandsjahr und erzähle euch mal, wie das so ist, in einem fremden Land zu leben. Darunter die schönen Seiten als auch Augenblicke oder Gewohnheiten der Chilenen, die mir nicht so gut gefallen.
Angefangen hat alles natürlich mit der Anreise, die schon einmal nicht ganz so gut losging.
Eigentlich hätte mein Auslandsjahr am 26.07.2022 losgehen sollen, da die chilenischen Behörden jedoch Probleme mit ihrer Plattform hatten, hatte ich, wie viele andere auch bis dahin noch kein Visum.
Aufgebrochen bin ich am 11.08.2022, aber da die spanische Fluggesellschaft ungefähr so pünktlich ist wie die Deutsche Bahn, kam mein Flieger 1,5 Stunden zu spät, ich hatte aber immer noch 4,5 Stunden Zeit bis zum Anschlussflug. Da ich noch von einer anderen wusste, die verspätet nach Chile flog, habe ich erst einmal unser nächstes Gate gesucht, denn der Flughafen in Madrid ist riesig! Aber zum Glück auch gut ausgeschildert.
Nachdem ich sie abgeholt habe, haben wir noch eine andere Teilnehmerin des Austauschprogramms getroffen. Zu dritt ging es dann weiter in den Flieger, für den dann plötzlich schon last call war. Wir drei haben es zum Glück noch reingeschafft, allerdings hätten noch drei weitere Austauschschüler und eine Begleitperson mitfliegen sollen, die aufgrund von Verspätung ihres Fliegers, den Anschlussflug verpasst haben. Also ging es für uns ohne Begleitperson weiter.
Aufgewacht bin ich am nächsten Morgen gegen halb sechs. Es war leicht dämmrig, weshalb es umso verwirrender war, dass es danach wieder dunkel und es erst kurz vor Santiago wieder hell wurde. Insgesamt waren das nämlich gute 15 Stunden Dunkelheit.
In Santiago kam dann der ganze Registrierungsablauf. Der hat ein bisschen gedauert, aber wir sind durch gekommen und auch der Zollhund hat uns ohne Probleme passieren lassen. Was aber schon irgendwie komisch war, keiner wollte unsere Visa. Weder in Hamburg am Flughafen noch in Madrid oder bei der Registrierung in Santiago.
Nach den Kontrollen wurden wir von chilenischen Mitarbeitern der Organisation empfangen und eine auch direkt von ihrer Gastfamilie. Ich hingegen musste noch 5 Stunden mit dem Bus fahren. Das ist aber relativ günstig. Mit wenig Geld kann man mit dem Bus weite Strecken zurücklegen. Für 500km bis nach Chillán muss man nur 24.000 chilenische Peso (kurz: chil $ oder $) zahlen, was umgerecht etwas mehr als 25€ sind. Vor der Busfahrt hab ich noch Geld abgehoben, um zu gucken, ob meine Karte hier funktioniert, weil das schon bei anderen Austauschschülern ein Problem war, ich habe aber mein Geld bekommen und musste nur die normale Automatengebühr für Geld abheben mit Karten aus dem Ausland zahlen, was 7.000$ sind.
Die Busfahrt war schön, auch wenn ich recht müde war. Denn es gab eine Zeitverschiebung von 6 Stunden(inzwischen nur noch vier durch die Umstellung auf Sommerzeit in Chile und die Umstellung auf Winterzeit in Deutschland). Die Busfahrt hat mir aber schöne Landschaften gezeigt. Allerdings gibt es in Chile auch viele, ich nenne sie mal selbstinspirierte Müllhalden. Auf vielen Wiesen befindet sich weggeworfener Müll, der die Schönheit der Landschaft stört. Auch stehen überall Überlandleitungen und so schön die Landschaft auch ist, sind kleinere Städte in meinen Augen eher unschön.
Es gibt außerdem viele Mautstraßen und die Autobahnen an sich sind auch interessant. Zum einen fangen sie teilweise einfach auf einer normalen Straße an und enden so auch wieder und es gibt immer mal direkt daneben Bushaltestellen, wo einfach die Straße breiter gemacht wurde, damit der Bus halten kann, den Verkehr aber nicht stört. Das Busterminal, an dem ich aber ausgestiegen bin, befand sich im Inneren der Stadt. Dort wurde ich sehr nett von meiner Gastfamilie empfangen.
Meine Gastfamilie besteht aus einem Gastvater, einer Gastmutter und fünf Gastgeschwistern, von denen aber nur zwei zuhause leben, was mich mit meinen 17 Jahren das älteste Kind im Haus macht, da meine Gastschwestern 10 und 13 sind. Meine anderen Gastgeschwister habe ich bisher noch nicht kennengelernt. Ich weiß nur, dass eine 16 ist und bei ihrem Großvater lebt, einer 22 ist und in Concepción studiert und der andere sich irgendwo in Frankreich aufhält.
Ich bin meiner Gastfamilie sehr dankbar für ein eigenes Zimmer mit mobiler Heizung, was nämlich nicht selbstverständlich ist. Denn hier war Winter als ich angekommen bin und so wie die meisten Häuser in Chile, hat mein vorübergehendes keine fest verbaute Heizung und ist schlecht gedämmt. Morgens war es trotzdem verdammt kalt, weil ich die Heizung nicht die ganze Nacht laufen lassen möchte. Auch das Duschen macht es nicht viel angenehmer, zumal das Wasser zwischen warm und kalt wechselt. Bei der Toilette muss man auch darauf achten, das Toilettenpapier in den Mülleimer zu werfen und nicht in die Toilette selbst, das könnte sonst den Abfluss verstopfen.
Gegessen wird bei meiner Gastfamilie morgens um 7 oder 11, je nachdem ob wir frei haben oder nicht, Mittags zwischen 16 und 17 Uhr und Abends zwischen 20 und 21 Uhr. Nach dem Mittagessen wird ein Vers aus der Bibel vorgelesen und die Kinder, ich eingeschlossen, sollen sagen, was der Vers uns naheliegen möchte. Beim Essen ist es bei uns üblich, dass die Kinder den Tisch auf- und abdecken und man einfach anfängt, sobald man sitzt und sein Essen hat, ohne auf die anderen zu warten. Nachher wandert dann der ganze Müll wie Servietten oder auch Aufschnittverpackungen in den selben Mülleimer. Nur Papier wird neben dem Kamin in einen Korb gelegt und dann später verbrannt.
Unsere Beziehung ist, würde ich sagen okay. Könnte besser, aber auch definitiv schlechter sein. Als einer der größten Chaoten die ich kenne, war es für mich schwierig sich daran zu gewöhnen, teilweise bis zu viermal die Woche aufzuräumen. Und dann nicht nur mein Zimmer, sondern auch zusammen mit den anderen weiblichen Mitgliedern der Familie die Badezimmer, Küche, Wohnzimmer und Kleidung. Ja, leider habe ich das Gefühl, dass meine Gastfamilie leicht sexistisch ist, insbesondere als mein Gastvater sich mal mit meiner Gastmutter gestritten hat und er meinte, dass sein Wort als Vater höher stehe als das Ihre und meine Gastmutter zu mir meinte, wir arbeiten alle im Haus für den Vater. Als jemand, der besonders geschlechtsbezogene Ungerechtigkeit hasst, ist das für mich ein bisschen schwierig zu akzeptieren. Insbesondere die letzten Wochen hatten wir einige Probleme miteinander und sowohl meine Gastfamilie als auch ich haben darüber nachgedacht, ob es nicht das beste wäre, wenn ich die Gastfamilie wechseln würde. Da ich persönlich ein Fan davon bin, Probleme so lange zu ignorieren, bis sie von selber verschwinden, habe ich uns das aber auch nicht besonders einfach gemacht. Jetzt nach einem Gespräch mit der Organisation, zwei Personen die in meinem Bereich mit für mich zuständig und meiner Gastfamilie, geht das hoffentlich wieder bergauf. Deshalb, falls ihr auch ein Auslandsjahr machen wollt, solltet ihr wirklich über Probleme reden, wenn ihr welche habt. Bei mir hat das Ignorieren nämlich nicht viel geholfen.
Etwas anderes, was auch einen Moment gebraucht hat, war die Angewohnheit Wasser aus einem Wasserspender zu trinken, denn das Wasser aus der Leitung sollte man lieber nicht benutzen, auch wenn es als Trinkwasser klassifiziert wird. Die chilenische Lösung für alles, was irgendwie dreckig ist, scheint Chlor zu sein, wovon auch eine Menge im Trinkwasser ist und besonders in Santiago so viel, dass ich beim Duschen das sogar riechen konnte.
Die Schule ist 15 Minuten mit dem Auto von meinem Haus entfernt. Es gehen dort Kinder von 4 Jahren der Vorschule bis Teenager zwischen 17 und 18 des 4º medio (zwölfte Klasse) hin. An den Eingängen stand während der Maskenpflicht jeweils ein Lehrer mit Desinfektionsmittel und danach ein Temperaturleser. Wenn man zu spät ist, muss man durch den Haupteingang, wird als zu spät eingetragen und bekommt einen kleinen Zettel, den man dem aktuellen Lehrer geben muss. Nur dann darf man am Unterricht teilnehmen.
Die Unterrichtsfächer unterscheiden sich von unseren ein bisschen. Am Anfang musste ich zwischen 3x3 Fächern wählen. Zur Auswahl stehen dort:
- Sportwissenschaften, Chemie oder Geschichte
- Körpersprache, Literatur oder ökonomische Biologie
- Künstlerische Philosophie, Gesundheitswissenschaften oder Architektur
Von jedem Bereich muss ein Fach ausgewählt werden, das man dann jeweils insgesamt drei Doppelstunden Montags bis Mittwochs hat. Des Weiteren gibt es Montags Clubs. Dabei stehen zur Auswahl Volleyball, Draußensport, Karten, Chemische Experimente, Naturkunde5 und Salsa (Tanz). Weitere Fächer des Stundenplans: Philosophie, P.E., Englisch, etwas ähnliches wie Politik, Mathe, Sprache, English Club, Naturwissenschaften, Emotionen und Orientation, wo man Probleme der Klasse bespricht. Insgesamt habe ich 42 Wochenstunden, denn Montags und Dienstags habe ich von 8 bis 17:15 Unterricht, Mittwochs und Donnerstags von 8 bis 15:30 und Freitags von 8 bis 13 Uhr. Viel Zeit für Freizeit bleibt da nicht und Mittwochs nehme ich auch noch am Zusatzangebot Volleyball teil.
An meiner Schule herrscht absolutes Handyverbot, nicht einmal in den Pausen dürfen wir es benutzen und wenn es ein Lehrer sieht, ob im Raum oder über die Kameras, die überall außer auf den Toiletten sind, dann ist das Handy für den Rest des Tages weg. Ob ich mich daran immer halte, ist eine andere Sache.
Der Einstieg in die Klasse, ich gehe bis Dezember in 3º medio(11. Klasse), war recht schwierig. Auch wenn ich eine 1 in Deutschland in Spanisch hatte, ist das doch nochmal was komplett andere wirklich alles nur auf Spanisch zu hören. Denn auch wenn meine Schule eigentlich eine Englische ist, kann so gut wie keiner dort Englisch, was es ziemlich schwierig machte sich zu unterhalten und Freunde zu finden, zumal das chilenische Spanisch auch nochmal anders ist als das, was wir in der Schule lernen. Das „s“ am Ende eines Wortes wird gerne weggelassen, das „x“ wird teilweise wie „sch“ ausgesprochen, der eigene Slang wie acá (aquí=hier), cachai (capta=kapiert) oder pololo (novio=Freund/Bräutigam) sorgt für Verwirrung und im Allgemeinen reden Chilenen super schnell. Wenn ihr denkt, dass die Audios im Unterricht schnell sind, müsst ihr das nochmal mit einem normalen Gespräch zwischen Chilenen vergleichen.
Wie auch immer, der Anfang war alles andere als einfach. Oft saß ich einfach nur alleine, weil nicht wirklich viele Leute sich mit mir unterhalten wollten, beziehungsweise konnten und die andere deutsche Austauschschülerin, die ihr Visum rechtzeitig bekommen hatte, sitzt leider woanders und war auch die ersten Tage krank und auch wenn ich froh bin, dass ich eine Person hier hab, mit der ich dann nochmal Deutsch sprechen kann, ist das für meine spanische Kenntnisse wahrscheinlich eher zum Nachteil.
Die ersten Freunde habe ich so richtig erst nach einem Ausflug des P.E Kurses gemacht. Wir waren trekking in den Anden, in Gruppen aufgeteilt und dabei hatte ich Konversationen mit drei Leuten aus meiner Gruppe und seit dem unterhalten wir uns auch so mal in der Schule. Auch sitze ich jetzt während der Stunden weniger allein. Da es keinen festen Sitzplan gibt, können die Schüler sitzen wo sie wollen und auch Tische und Stühle einfach verschieben.
Woran ich mich in der Schule immer noch nicht gewöhnt habe, ist, dass man sich nicht meldet, wenn eine Frage gestellt wird. Wer die Antwort weiß, ruft sie einfach rein, was bei 42 Schülern sehr laut werden kann. Laut ist es ohnehin immer, weil die Schüler nicht wirklich Respekt vor den Lehrern haben, auch wenn man sie mit Vornamen anspricht und mit ihnen redet, als wäre man beste Freunde und auch Essen mit ihnen teilt.
Meine Noten in der Schule sind, ich sage mal bescheiden. Sie gehen in Chile von 1 als Schlechtestes bis 7 das Beste mit 4 als knapp bestanden und bei mir waren schon Einsen als auch Siebenen dabei. Denn auch wenn die Schule von meiner Organisation gesagt bekommen hat, dass sie die Arbeiten für uns anders gestalten sollen, hält sich da keiner dran, weshalb meine Noten auch dementsprechend aussehen. Künstlerische Philosophie, Englisch/English Club und erstaunlicherweise Sprache sind die einzigen Fächer, wo meine Noten wirklich gut sind. Andererseits ist auch nicht wirklich schwierig gute Noten zu bekommen, solange man die Aufgabenstellung versteht und mehr oder weniger befolgt. Schule habe ich aber seit dem 13.12.2022 keine mehr, denn jetzt haben die Chilenen bis März Sommerferien, worüber ich echt froh bin. So lange Schule zu haben, ist sehr anstrengend, auch wenn wir zich Feiertage haben, an denen frei ist.
Ein ganz besonderer ist dabei Fiesas Patrias mit dem Día de Independencia, chilenischer Unabhängigkeitstag und damit Nationalfeiertag. Es gibt sehr viel traditionelles Essen wie Empanadas oder Asado (gegrilltes Fleisch) und auch Getränke wie den Terremoto (übersetzt Erdbeben), die wirklich sehr süß sind, aber auch sehr gut schmecken, jede Menge Cueca, der chilenische Nationaltanz, den ich auch gelernt habe und natürlich traditionell chilenischer Kleidung. Die Männer und Jungs tragen dafür einen Cowboy Hut mit entsprechenden Stiefeln und Sporen sowie ein Hemd mit einem Chamento (chilenischer Poncho) darüber und ein Tuch, das in der Hand wie ein Lasso während des Tanzes geschwungen wird.
Die Frauen und Mädchen tragen das Huasakleid (Huasa ist der chilenische Cowboy) mit Schuhen, die Absätze haben müssen und auch einem Tuch für de Hand.
Die Feiertage haben sehr viel Spaß gemacht und man hat deutlich gesehen, wie stolz die Chilenen auf ihre Nation sind.
Wie vorhin schon erwähnt, ist die Landschaft Chiles verdammt schön. Da meine Familie gerne Ausflüge macht, konnte ich bereits schon die Saltas del Laja (Wasserfall) besuchen sowie zweimal einen See, der im Sommer austrocknet und im Frühling dann vom geschmolzenen Schnee aus den Anden gefüllt wird. Einmal war ich auch drin schwimmen mit meinen Gastschwestern. Es war wirklich sehr kalt und die Woche danach waren wir mehr als nur ein bisschen erkältet. Es war aber ein sehr warmer Tag mit 28ºC. Wenn es jetzt schon Mitte Frühling so warm ist mit über 30°C, will ich eigentlich nicht wissen, wie ich mich dann im Sommer fühle.
Weihnachten bei über 30°C wird bestimmt interessant. Gerade kann ich mir nämlich überhaupt nicht vorstellen, dass in weniger als einer Woche schon Heilig Abend ist. Bei so einer Hitze in Weihnachtsstimmung zu kommen, ist für mich echt schwierig. Meine Gastfamilie hat schon gesagt, dass sie die Feiertage meistens draußen am Pool verbringen, weil es dort am ehesten auszuhalten ist. Das wird auf jeden Fall eine interessante Erfahrung.
To be continued...
Text / Bilder: Jannika N.